Frau auf Stuhl
Öl auf Papier, 117 x112 cm
Fundaziun «Art Edgar Vital»
Portrait Fräulein M.F., 1929
Öl auf Leinwand, 120 x 90.5 cm
Bündner Kunstmuseum, Chur
Das Werk von Edgar Vital
Vitals Beschränkung auf das Unterengadin hat ihn zum stillen Maler werden lassen, was von der Kritik verschiedentlich bedauert worden ist. Das frühe «Portrait Fräulein M.F.» (1929), das sich heute im Bündner Kunstmuseum befindet, hatte bei einigen Betrachtern offenbar die Hoffnung auf einen Bündner Otto Dix geweckt. Es wirkt in seiner Stilisierung der Figur, im grosszügigen malerischen Duktus wie auch im Farbausdruck ausgesprochen kühn. Lässig und erotisch sitzt die elegant gekleidete Dame auf einem umgekehrten Sessel locker auf der geschwungenen Armlehne. Die Beine betonen in ihrer ungezwungenen Haltung – die linke Fussspitze berührt leicht den Boden – den privaten, nicht offiziellen Charakter des Bildnisses. Ihr knallrotes Kleid und Bubikopf künden von den frechen Zwanziger Jahren. Auffallend ist Vitals freier Umgang mit den räumlichen Verhältnissen.
Das Fräulein M.F. ist wohl in einem Innenraum porträtiert, doch legt der Künstler keinen Wert auf eine naturalistisch dargestellte Umgebung. Vielmehr flammt hinter der Figur ein gelber Bildabschluss auf, der einen markanten Kontrast zu leuchtenden Rot des Kleides bildet und teilweise in erregtem Pinselstrich, teilweise flächig aufgetragen vom zupackenden Temperament des Malers kündet. Die betont städtische Haltung dieses Bildes muss auffallen im Schaffen eines Malers, von dem man vornehmlich lichtdurchflutete Landschaftsschilderungen aus seiner heimatlichen Engadiner Umgebung kennt. Gemessen daran, bilden Vitals Landschaften in der Tat eine zweite Seite innerhalb seines Werks – keine langweilige allerdings, sondern eine, die den Reichtum des Naheliegenden in sich trägt.
Das Werk Vitals steht im Kreuzungspunkt verschiedener Strömungen. Als künstlerische Vorbilder nannte der Maler selbst Hans von Marrées, Arnold Böcklin, Franz von Stuck und die französischen Impressionisten Edouard Manet und Edgar Degas; Anregungen erhielt er auch von Segantini und Hodler. Interessant ist die Interpretation von Peter Barblan, einem Jungendfreund Vitals, der diesen als Vollender Segantinis bezeichnete. Segantini hatte die Weite, panoramaartige Sicht der Landschaft gesucht. Der gänzlich unpathetische Vital hingegen widmete sich ihrer Nahsicht. Damit wandelte Vital auf den Pfaden eines älteren Unterengadiner Künstlers. Barthélemy Menn (1815–1893), Sohn eines von Scuol nach Genf ausgewanderten Zuckerbäckers, war im 19. Jahrhundert der schweizerische Hauptvertreter des Paysage intime und damit wiederum der Antipode der Vertreter der heroischen Auffassung François Diday und Alexandre Calame.
Edgar Vital ist ein Schilderer der Unterengadiner Natur – und Kulturlandschaft geworden, und diese wiederum scheint dem Betrachter eine intime, persönliche Sicht geradezu nahezulegen. Eingängige, gerade dadurch aber auch der Gefahr des Klischees ausgesetzte Motive, wie das im Oberengadin die Seenlandschaften sind, gibt es hier nur selten. Dadurch ist leichter der Gefahr zu entkommen, allzu Bekanntes zu wiederholen. Vitals Malerei umfasst sowohl lokalisierbare als auch allgemeine Ausschnitte: Bäume, Waldpartien, Bäche, Wege, Berge. Einen zentralen Platz nimmt die Lärche ein. Die farbliche Wandlung ihrer Nadeln führte zu Herbstlandschaften, die als Antwort des Unterengadins auf die koloristischen Tendenzen der europäischen Malerei des frühen 20. Jahrhunderts gelesen werden können. Aus der beobachteten Natur heraus entwickelte Vital seine sehr differenzierte Farbsinnlichkeit.
Thematisch umfasst sein Werk das ganze Spektrum von Landschaften über Genres bis zu Blumenstilleben. Was weniger bekannt ist, sind seine Illustrationen, Bleistift- und Tuschzeichnungen sowie seine Porträtmalerei. Das Gesamtwerk widerspiegelt die Entwicklung einer geradlinigen Künstlerpersönlichkeit, die Erfahrungen des Impressionismus und des Expressionismus zu einer eigenständigen Bildersprache verwob.